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Kolumne «Schweizer Herzfrequenzen»Wie sehr vertraue ich anderen Menschen?

Misstrauischer Nachbar: James Stewart in Alfred Hitchcocks «Das Fenster zum Hof».

Darf ich Sie einmal etwas Persönliches fragen? Vertrauen Sie eigentlich Ihren Familienangehörigen? Oder den Nachbarinnen und Nachbarn? Und wie ist es mit Menschen, die Sie zum ersten Mal treffen? Würden Sie generell auch sagen, dass man den meisten Menschen vertrauen kann, oder kann man im Umgang mit anderen gar nicht vorsichtig genug sein? Wenn Ersteres zutrifft, dann gehören Sie hierzulande zu den 60 Prozent, deren Herz in dieser Hinsicht ähnlich schlägt. Bis auf die skandinavischen Länder und die Niederlande sind die Menschen im restlichen Europa übrigens weitaus skeptischer.

Unser Vertrauen ist die Aorta des menschlichen Zusammenlebens. Doch diese Haltung gegenüber anderen hat ihren Preis. Denn Vertrauen, so die Philosophin Annette Baier, ist die bewusste Verletzlichkeit gegenüber dem möglichen, aber nicht erwarteten bösen Willen – oder dem Mangel an gutem Willen – anderer. Mit anderen Worten: Wenn wir jemandem vertrauen, nehmen wir bewusst einen Kontrollverlust in Kauf und gehen Risiken ein. Dieses Wagnis des Vertrauens macht uns verletzlich.

Der höchste Grad an Verwundbarkeit

Im Alltag stellt sich daher immer dann die Frage nach dem Vertrauen, wenn die Risikogesellschaft ihren Tribut fordert. Schriftliche Vereinbarungen und Verträge sollen hier Unsicherheiten abbauen, dokumentieren aber in ihrem Detaillierungsgrad unweigerlich auch das Vertrauensverhältnis zwischen den Beteiligten. Denken wir etwa an Eheverträge, die buchstabengetreu von der Endlichkeit des Vertrauens zwischen Liebenden berichten. Und wegen drohender menschlicher und finanzieller Rückschläge mahnen uns auch Eltern und Verwandte immer wieder, Anlageberaterinnen und -beratern mit Vorsicht zu begegnen und auch Fremden nicht blind zu vertrauen.

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Wer dennoch vorbehaltlos auf die meisten Menschen zugeht und dabei auch Unbekannte mit einschliesst, geht in der Regel vom Wohlwollen seiner Mitmenschen aus. Dieses bedingungslose Vertrauen birgt zwar den höchsten Grad an Verwundbarkeit, wird aber, wenn es unter den Menschen weitverbreitet ist, schnell zum sozialen Kapital ganzer Gesellschaften und macht diese in jeder Hinsicht reibungsloser, lebenswerter und auch erfolgreicher.

Ältere Menschen vertrauen eher

Während die einen ihrem Gegenüber von Natur aus einen Vertrauensvorschuss gewähren, leiten die anderen diese Überzeugung mehrheitlich aus ihren Erfahrungen ab. Denn klar ist: Je mehr Informationen und Wissen wir über eine Person haben, desto geringer ist unser Unbehagen in Vertrauensfragen. Nicht umsonst verlassen sich die Menschen auf der ganzen Welt deshalb zuerst auf ihr engstes soziales Umfeld. Auch in der Schweiz vertrauen über 95 Prozent ihren persönlichen Bekannten und Verwandten. Und immer noch über 80 Prozent ihren Nachbarinnen und Nachbarn. Umgekehrt fällt das Vertrauen in Fremde am geringsten aus. Nur rund die Hälfte der Schweizerinnen und Schweizer vertraut Menschen bei der ersten Begegnung.

Wer sich hierzulande als offen, extrovertiert und verträglich taxiert, hat kein Problem damit, Fremden Vertrauen zu schenken. Für gewissenhafte und auch emotional instabile Schweizerinnen und Schweizer hingegen gilt: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Mit zunehmendem Alter, Bildung und Einkommen steigt zudem die Bereitschaft, Unbekannten zu vertrauen. In der Romandie ist diese Tendenz allerdings weniger ausgeprägt als in der übrigen Schweiz. Doch Vorsicht: So wichtig Vertrauen in allen Lebenslagen ist, so zerbrechlich ist es auch. Denn Vertrauen, so Johannes Brahms, ist kein Zehennagel. Ist es einmal verloren, wächst es nur sehr schwer wieder nach.