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Kolumne «Schweizer Herzfrequenzen»Wie zornig bin ich?

Die Wut, das Gefühl der Stunde: Ein Verkehrsteilnehmer lässt seinem Unmut über eine Aktion von Klimaschützerinnen und Klimaschützern freien Lauf.

Kennen Sie das? Ihre Miene verfinstert sich, Puls und Blutdruck gehen durch die Decke, die Nasenflügel blähen sich auf, und die Lippen machen dicht. Ungerechtigkeiten, Enttäuschungen, Verletzungen, Respektlosigkeiten oder unangebrachte Kritik können bei Ihnen diesen schnaubenden Zustand auslösen. Sie werden wütend.

Neben der Angst ist die Wut das Gefühl der Stunde. Ob Abstimmungs­verliererin, Klimakleber oder Landwirte, ob Freundin oder Feind von Wolf und Woke: Wir alle kennen sie, denn wir leben in ambitionierten und erwartungsvollen Zeiten, in denen ein von Selbstverwirklichung getriebenes Anspruchsdenken dem Zorn unweigerlich den Takt vorgibt. Bleiben unsere Forderungen unerfüllt oder werden uns Knüppel zwischen die Beine geworfen, die unsere habitualisierten Normen und eingespielten Lebensabläufe verletzen, kriecht sofort der Furor in uns hoch.

Lieber die Faust auf dem Tisch als im Hosensack

Dabei geniesst diese Regung keinen allzu guten Ruf. Im Christentum gehört der Zorn neben Neid, Völlerei, Habgier, Wollust, Hochmut und Trägheit zu den sieben Todsünden. Und seit der römische Philosoph Seneca die Wut als «vorübergehende Geisteskrankheit» abgestempelt und in die emotionale Schmuddelecke verbannt hat, gilt sie bei uns als Markenzeichen rüpelhafter und grobklotziger Zeitgenossen.

Jenseits unkontrollierter Aggression betonen Biologie und Psychologie jedoch zunehmend die heilsame Wirkung der Wut auf Körper und Seele und warnen davor, sie ständig zu unterdrücken: Es ist demnach gesünder, einmal mit der Faust kräftig auf den Tisch zu hauen, statt diese ständig nur im Hosensack zu ballen. Dosiert und wohlverstanden eingesetzt, entfaltet die Wut zudem auch katalysatorische Schub- und Antriebskräfte, um gesellschaftliche Ungerechtigkeiten zu beseitigen oder Hindernisse zivilisatorischer Entwicklungen auszumerzen.

Aber machen wir uns nichts vor: Der Umgang mit wütenden Menschen ist fast immer nervenaufreibend. Im Gegensatz zur Angst, die uns antreibt, unsere Positionen und Haltungen zu verändern, verhärtet der Zorn die Fronten und lässt uns auf der Suche nach Sündenböcken auf festgefahrenen Überzeugungen sitzen. Zornige Gemüter sind gerade auch deshalb ein gefundenes Fressen populistischer Rhetorik.

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Auswertungen eigener Befragungen zeigen, dass die Menschen in Italien und Spanien öfter aus der Haut fahren als die Schweizerinnen und Schweizer. Wir geraten im Wesentlichen ebenso oft in Rage wie die Deutschen, Franzosen und Briten. Rund ein Fünftel der Menschen werden hierzulande beispielsweise oft oder sehr oft wütend, wenn sie keine Anerkennung für gute Arbeit erhalten oder wenn sie von anderen kritisiert werden. Für rund 40 Prozent trifft dies immerhin manchmal zu.

Westschweizer geraten schneller in Rage

Mit zunehmendem Einkommen und wachsendem Alter lässt bei den Schweizerinnen und Schweizern die Neigung zur Wut nach. Zudem lassen sich Westschweizer schneller in Rage versetzen als die Bewohnerinnen und Bewohner der übrigen Landesteile. Wer überdies extrovertiert ist und neurotische Züge aufweist, neigt eher zu zornigen Ausbrüchen. Noch etwas: Unter den Parteianhängern sind die SVP-Sympathisanten am ehesten voller Wut.

Und? Interessiert an Ihrem Potenzial zur Wutbürgerin oder zum Wutbürger? Dann überlegen Sie doch einmal, wie oft Sie aufbrausend oder hitzköpfig sind. Oder ob es Sie kalt lässt, wenn Sie durch die Fehler anderer ausgebremst werden. Und wie fühlen Sie sich eigentlich, wenn Sie gute Arbeit leisten, aber eine ungenügende Beurteilung einkassieren? Ihre Antworten lassen erahnen, wie kurz Ihre Zündschnur ist und wie lang die Leine, an der Sie besser gehalten werden sollten.

Markus Freitag ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Bern. Er präsentiert jeden zweiten Freitag Gedanken, Daten und Fakten zu Schweizer Befindlichkeiten.