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Trennung von der JugendliebeKurz vor 30 ist Schluss

Dieser Artikel ist Teil unseres aktuellen Schwerpunkts zum Thema Trennungen. Hier finden Sie alle Beiträge.

Trennungen um 30 sind kein Zufall – denn in unseren Zwanzigern entwickeln wir uns am meisten.

Eine Woche vor ihrem 30. Geburtstag bilanzierte Johanna ihr Leben. Zehn Jahre Beziehung mit einem Bilderbuchfreund. Eine gemeinsam renovierte Wohnung, nah bei all ihren Freundinnen und Freunden in ihrer Heimat. Hochzeitsgedanken. Und sollte es so weit sein, dann stünde da auch schon ein Haus für ihre künftige Familie parat. So unvorhersehbar das Leben sein kann: Viel Platz für Überraschungen war bei Johanna nicht mehr. «Ich sah uns schon als Rentner», sagt sie. Noch mit 29 trennte sie sich.

Langjährige Beziehungen zerbrechen, Jugendlieben enden, und das ganz kurz, bevor es ernst wird. Für das Umfeld ist das oft ein Schock. Für Janina Bühler nicht. Sie ist Persönlichkeitspsychologin und weiss: Trennungen ums 30. Lebensjahr sind kein Zufall.

Die Chance auf einen Neuanfang

«Am unzufriedensten in unserer Beziehung sind wir mit 40. Aber in den Zwanzigern entwickeln wir uns am meisten.» Job, Partnerschaft, Freundeskreis: Das erwachsene Ich nimmt langsam Form an, viele im selben Alter legen sich schon fest. Und das rüttelt wach. «Die Linie mit 30 ist zwar künstlich, aber in den Köpfen existiert sie – und mit ihr das Gefühl, jetzt oder nie die Chance auf einen Neuanfang zu haben», sagt Bühler.

In den frühen Zwanzigern probieren viele einfach mal, Beziehungen scheitern oder nicht, so what. Dann kommt die 30, und mit ihr die Skepsis.

Wieso man sich ineinander verliebt hat, wird angesichts wichtiger Lebensentscheidungen oft nichtig. «Es zählen plötzlich andere Kriterien bei der Partnerwahl», sagt Persönlichkeitspsychologin Bühler. Gerade bei der Familiengründung lassen sich vor allem Frauen von Fristen unter Druck setzen, die gesellschaftlich und biologisch als notwendig gelten. Je näher diese Frist rückt, desto mehr prüft man die Beziehung auf ihre Zukunftstauglichkeit. Es geht nicht mehr darum, ob man mit dieser Person gut feiern und verkatert sein kann. Sondern darum, ob man mit ihr das Leben verbringen und vielleicht eine Familie gründen will. Viele Beziehungen halten diesem Druck nicht stand.

Carsten: Trennung nach acht Jahren

Auch Carsten erlebte das. Anfang, Mitte 20 wirkte alles stimmig in seiner Beziehung: Gemeinsame Freunde, ihr kluger und bodenständiger Charakter, «die Anziehung war direkt da», erinnert sich Carsten. Beide wuchsen auf dem Land auf, auch das verband sie. Doch je länger sie zusammen waren, je ernster es zu werden drohte, desto mehr drifteten ihre Zukunftsvorstellungen auseinander.

Er wollte den nächsten Schritt gehen, zusammenziehen, eine gemeinsame Zukunft aufbauen, erzählt er. «Aber sie hat aktiv versucht, kein Nest zu bauen.» Einen Bauplatz ihrer Familie lehnte sie ab. Und nach der ersten gemeinsamen Wohnungsbesichtigung kauerte sie sich weinend auf dem Sofa zusammen. Carsten war 31, als er nach acht Jahren Beziehung Schluss machte.

Johanna: Zukunftsbilder ohne ihn

Dass auch Johanna sich um die 30 trennte, «das war kein Zufall», sagt sie selbst. Sie spricht klar, aber ihre Augen füllen sich immer wieder mit Tränen. «Ich habe mir die nächsten 30 Jahre ausgemalt. Und darin kam er nicht mehr vor.» Den Grund dafür sucht sie bis heute. Es gab keine Streitereien, Lügen oder Affären. «Ich kann nichts Negatives über ihn sagen. Nur, dass ich unglücklich mit ihm war.» Anfang 2022 kam dieses diffuse Gefühl in ihr auf. «Ich dachte mir: Reiss dich zusammen, du hast es gut.»

Sie bekam Angst, wenn sie über ihre gemeinsame Zukunft sprachen. Immer öfter fragte sie sich, wie es ohne ihn wäre. Dann erwischte sie sich dabei, wie sie über andere Männer nachdachte. Und dann, wie sie mit ihnen schrieb. «Ich schämte mich so», sagt sie. Sie musste sich entscheiden.

Fast ein Drittel ihres Lebens hatte Johanna mit ihrem Ex-Partner verbracht. Vor der Trennung raubten ihr viele Sorgen nachts den Schlaf: «Ich hatte riesige Angst. Ich habe mir mein Leben nicht aufgebaut, um es wegzuwerfen.»

Johanna fürchtete, niemanden mehr zu finden, der so gut zu ihr passt wie ihr damaliger Partner – «oder auch davor, überhaupt niemanden mehr zu finden.»

Verwachsen mit dem Partner

«Es ist einfach ein Risiko», sagt Carsten. «Vor allem wenn das Selbstvertrauen so im Keller ist, wie meines es war.» Das ist die Hauptsorge bei Trennungen um die 30, wie Persönlichkeitspsychologin Bühler sagt: «Lohnt es sich, die Beziehung aufzugeben und mich der Gefahr auszusetzen, alleine zu bleiben?»

Und dann tut man es doch, steht alleine da und weiss überhaupt nichts mehr. So hat es Johanna erlebt: «Da wurde mir erst einmal klar, wie sehr ich mich über diese Beziehung definiert habe.» Bei vielem hatte sie sich auf ihren Partner verlassen, emotional, aber auch bei alltäglichen Kleinigkeiten wie dem Reifenwechsel oder dem Internetanschluss: «Ganz ehrlich, keine Ahnung, sowas hat er immer gemacht.» Man muss lernen, welcher Mensch man ohne den Partner oder die Partnerin ist. Vier Monate habe es gedauert, ehe Carstens Alltag wieder eine Struktur hatte. «Man entscheidet sich nicht gegen einen Mensch», sagt er, «sondern gegen ein ganzes Leben.»

In jeder Partnerschaft gibt man ein Stückchen der eigenen Identität auf, investiert in ein Wir-Gefühl. «Aber in den Zwanzigern ist einer der wichtigsten Schritte, selbst Unabhängigkeit und Sicherheit aufzubauen», erklärt Persönlichkeitspsychologin Bühler. Wer früh und lange in einer Beziehung ist, dem fehlt diese Fähigkeit oft.

Die Beziehung plätschert dahin

Ein bisschen stolz ist Johanna also schon auf das, was sie sich seitdem alleine aufgebaut hat. «Nicht schlecht, oder?», sagt sie und blickt durch ihre erste eigene Wohnung, in der sie seit einem halben Jahr wohnt. Die ersten Nächte hier, so erzählt sie, seien die ersten seit fast zehn Jahren gewesen, in denen sie alleine schlief. «Daran muss man sich auch erst einmal gewöhnen.» Genauso wie an die finanzielle Belastung, alleine Miete zahlen zu müssen.

Die Grenzen zwischen Liebe, Verlustangst und Gewohnheit sind fliessend. Das ist das Gefährliche an Langzeitbeziehungen aus jungen Jahren: Dass sie manchmal geführt werden, weil es immer so war.

Häufig kommt es trotzdem zur Trennung, wie es bei Johanna und Carsten der Fall war. Die Paartherapeutin Diana Boettcher beobachtet das immer wieder: «Irgendwann ist man gesättigt von Stabilität. Man sehnt sich nach Emotionen und Leidenschaft.» Diese würden in stagnierenden Beziehungen oft fehlen. Die Vertrautheit ist noch da, vielleicht sogar Liebe. Aber die Beziehung plätschert dahin. Sie ist nicht schlecht, aber auch nicht gut. Das kann vor allem dann unbefriedigend sein, wenn um einen herum alle daten, frisch verliebt sind oder in die Flitterwochen fliegen.

Offene Beziehung muss nicht die Rettung sein

Langzeitbeziehungen, die plötzlich als stagnierend wahrgenommen werden und zu scheitern drohen – eine offene Beziehung wirkt für viele Zweifelnde wie die perfekte Lösung. Boettcher kennt das aus ihrer Praxis: «In Wahrheit ist es ein verzweifelter Rettungsversuch, der meistens schiefgeht.» Carstens Exfreundin bat ihn 2020 darum. Statt mit ihr sesshaft zu werden, tröstete er sie nun, wenn andere Männer sie sitzen liessen. «Ich hätte nie zustimmen dürfen», sagt er rückblickend. «Ich wollte sie nicht verlieren und dachte, es sei das, was sie gerade braucht.»

Er selbst habe sich nie mit anderen Frauen getroffen, erzählt er: «Ich will Familie und Kinder. Sie wollte das gar nicht.» Nach zwei Jahren offener Beziehung und zehn Monaten Trennungsgedanken zog er einen Schlussstrich – an ihrem Jahrestag im Mai 2022.

Bei Beziehungen, die lange gut gegangen sind, ist es schwer zu akzeptieren, wenn es vorbei ist. Deshalb seien lange Trennungen normal, wenn auch zermürbend, sagt Diana Boettcher: «Im Schnitt dauert die Trennungsentscheidung zwei bis drei Jahre, ehe sie ausgesprochen wird.» Ehe es soweit ist, werden Beweise für die Richtigkeit dieser Entscheidung gesammelt. In konfliktarmen Beziehungen gibt es diese aber oft nicht, weil «eigentlich alles okay» ist.

Und fehlt der Grund, fehlt auch der Mut. «Deshalb stecken Verlassende in einer Gedankenspirale fest, weil dieses Gefühl so abstrakt ist. Es ist nicht nachvollziehbar für andere», sagt Paartherapeutin Boettcher. Viele versuchen laut Expertin erst einmal das, was Johanna versuchte: aussitzen. Fast allen falle das auf die Füsse: «Ist das Gefühl einmal da, wird es tendenziell eher stärker. Es sei denn, man kommuniziert es frühzeitig und arbeitet gemeinsam an der Beziehung.»

Eine grosse Erleichterung

Es braucht Zeit, sich von demjenigen zu lösen, mit dem man quasi erwachsen wurde. Johanna brauchte drei Monate, ehe sie die Entscheidung aussprechen konnte, Carsten zehn. Es kostet Überwindung – nicht zuletzt, weil die Aussichten in diesem Alter andere sind als noch beim letzten Mal, als man single war.

Die Zukunftsängste, die Schuldgefühle, die Verzweiflung: Für Johanna und Carsten war die Trennung eine Qual – an deren Ende eine riesige Last von ihren Schultern fiel. «Ein Ende ist auch ein Anfang», sagt Johanna. Selbstständiger sei sie geworden, selbstsicherer und entspannter. «Es fühlt sich einfach geil an», diesen Satz sagen beide unabhängig voneinander.

«Das klingt eiskalt», findet Carsten, «aber das letzte gemeinsame Jahr war so kacke. Ich habe mich depressiv gefühlt und mich von Tag zu Tag gehangelt.» Mit der Trennung war das vorbei, er sei wie ausgetauscht gewesen. Bereut hat er es keinen Tag.