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Kolumne von Markus FreitagBin ich noch allein oder schon einsam?

Einsam und allein: Matt Damon als gestrandeter Astronaut in «Der Marsianer» (2015).

Machen Sie nicht auch gern mal die Tür hinter sich zu, um dem ganzen Trubel da draussen zu entfliehen? Ungestört durchatmen und niemanden am Rockzipfel haben? Oder vermissen Sie immerzu die Gemeinschaft, den Austausch, das Zusammensein mit anderen? Kurz: Geniessen Sie es, allein zu sein, oder fürchten Sie die Einsamkeit? Und: Ist das im Zeitalter von Singlebörsen und digitalen Datingportalen überhaupt noch ein Thema? 

Sie ahnen es schon: mehr denn je. Doch Obacht: Einsamkeit und Alleinsein sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Bin ich allein, muss ich mich nicht unbedingt einsam fühlen. Umgekehrt sind sich schon viele einmal einsam vorgekommen, obwohl sie von zig Menschen umgeben waren. Kurz gesagt, das Gefühl der Einsamkeit entsteht immer dann, wenn mein Verlangen nach zwischen­menschlicher Verbundenheit nicht gestillt wird, wenn eine Diskrepanz zwischen gewünschten und tatsächlichen sozialen Beziehungen besteht.

Nach Friedrich Nietzsche ist deshalb für den sehr Einsamen schon der Lärm ein Trost. Einsamkeit meint damit den persönlichen Eindruck sozialer Isolation, der niemals selbst gewählt ist und uns an Sonn- und Feiertagen, nach einer Trennung oder im schlimmsten Fall dauerhaft heimsuchen kann. Einsamkeit bereitet Schmerzen und ist mit Trauer überzogen, während Alleinsein durchaus wohltuend sein kann. Nämlich immer dann, wenn diese Art der Abgeschiedenheit gezielt gesucht und selbstbewusst als offiziell deklarierte Me-Time ausgeflaggt wird, um neue Kraft schöpfen zu können.

Frauen häufiger einsam als Männer

Statistischen Schätzungen zufolge sind die gesundheitlichen Folgen von Einsamkeit mit dem Rauchen von bis zu 15 Zigaretten pro Tag vergleichbar. Jüngste Studien berichten sogar von einem merklich erhöhten Sterberisiko bei immerwährender Einsamkeit. Nicht umsonst schlagen Regierungen in Deutschland und Grossbritannien Alarm und erklären die Bekämpfung der Vereinsamung zur nationalen Chefsache.

Auch hierzulande nimmt laut Umfragen die Einsamkeit zu. Kannten vor zwanzig Jahren noch über 70 Prozent dieses Gefühl nicht, sind es heute in der Schweiz nur noch knapp 58 Prozent, die angeben, sich nie einsam zu fühlen. Das Gefühl, von anderen isoliert zu sein, wird mit dem Alter stärker. Ausserdem fühlen sich Frauen häufiger einsam als Männer. Und obwohl der Volksmund lehrt, dass es an der Spitze am einsamsten ist, verringert sich das Gefühl der Einsamkeit mit steigender Einkommenszufriedenheit und Bildung. Zudem ist der Anteil einsamer Personen in der Deutschschweiz mit Abstand am geringsten.

Hoffnung à la Rousseau

Wer sich einsam fühlt, findet ferner auch keinen richtigen Zugang zur Welt um sich herum: Einsame Menschen zeigen sich weniger zufrieden mit der Demokratie, tun sich schwer, dem Bundesrat und den Mitmenschen Vertrauen entgegenzubringen, und gehen ehrenamtlicher Arbeit eher aus dem Weg.

Wenn Sie jetzt zwischen den Jahren allein in Ihrem stillen Kämmerlein sitzen, dann überlegen Sie doch einmal, wie oft Sie sich in den letzten Wochen von anderen Menschen ausgeschlossen oder isoliert gefühlt haben. Und wenn Sie dann bedrückt registrieren, dass dies gar nicht so selten der Fall war, dann verleihen Ihnen zum Jahreswechsel vielleicht die Worte von Jean-Jacques Rousseau ein wenig Hoffnung, denn: «Alle grossen Leidenschaften entstehen in der Einsamkeit.»