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Mamablog: Gedanken einer SternenmutterWenn das Kind nach der Geburt stirbt

«Das ist sehr traurig, aber ihr könnt ja noch ein Kind haben»: Stirbt ein Neugeborenes, sind manche Kommentare wirklich unangebracht.

«Wer von euch hat denn Geschwister?» – «Ich, ich, ich! Ich habe eine Schwester. Sie ist noch ein Baby.» — «Ich habe zwei Brüder.»

Lena, unsere Tochter, ist still geworden an jenem Tag im Kindergarten. «Und du?», wird sie gefragt. Lena weint. Heute fehlen ihr die Worte für eine Antwort auf diese Frage. Das ist nicht immer so, aber heute ist der Schmerz zu gross.

Was soll ein knapp fünfjähriges Kind auf die Frage nach Geschwistern antworten? Ein Kind, das viele Monate mit seinem Bruder in Mamas Bauch kommuniziert und interagiert hat, aber dann nur seinen leblosen Körper halten und liebkosen durfte? Noam starb unerwartet wenige Stunden nach seiner Geburt.

Wir Eltern kennen dieses Ringen um eine Antwort. «Wie viele Kinder haben Sie denn?» Lieb gemeinter Smalltalk, vermutlich auch ehrliches Interesse. «Eines», wäre die einfache Antwort. Doch meinen Sohn leugnen, das will ich meist nicht. Und so erzähle ich von meinen beiden Kindern und davon, dass Noam nicht mehr bei uns ist. Nicht selten überrumple ich mein Gegenüber. Manchmal folgt peinliche Stille oder ein gehetzter Themenwechsel.

Eine nachvollziehbare Reaktion aus der Überforderung heraus: Was gibt es zu sagen, wo es kaum Worte gibt? Und ich weiss auch: Nur schon die Vorstellung, das eigene Kind könnte sterben, ist so unglaublich schmerzvoll für Eltern, dass wir uns vor dieser Brutalität des Lebens schützen wollen. Oft spüre ich aber auch starke Zweifel bei meinem Gegenüber, ob ein Verharren bei diesem Thema für mich als Betroffene nicht zu bitter ist. Da mag man sich lieber flüchten, in Stille oder in ein anderes Thema.

Es gibt nichts zu flicken. Es geht nur darum, diese Spannung auszuhalten.

Ich spaziere nicht mit zwei Kindern an der Hand zum Spielplatz, muss mir nicht überlegen, wie ich beim Mittagessen gleichzeitig eine anspruchsvolle Sechsjährige und einen fast Dreijährigen kulinarisch befriedige. Und doch leben wir einen Alltag mit zwei Kindern. Wir haben einen Sohn, ein zweites Kind, einen Bruder, auch wenn er nicht mit uns am Tisch sitzt. Wir feiern auch seinen Geburtstag, gedenken seiner Meilensteine, denken und fühlen ihn mit.

Ich habe mich entschlossen, meine Beziehung zu meinem Sohn und meine Trauer nicht nur im Stillen zu leben. Das bedeutet nicht, dass ich sie vor mir hertrage, um alle darauf aufmerksam zu machen. Aber ich erzähle gern von ihm und freue mich über Aufmerksamkeit, die ihm geschenkt wird. Ich zeige meine Verletzlichkeit und fühle darin Stärke. Man kann einfach zuhören. Es gibt nichts zu flicken. Es geht nur darum, diese Spannung auszuhalten.

Noams Kommen und Gehen hat uns verändert – und das ist gut so.

Trotzdem kann man dem Schmerzvollen nicht immer Raum geben. Manchmal ertrage ich es nicht, an das Gewicht meines Rucksacks erinnert zu werden. Manchmal tut sich bei der banalsten Frage ein Abgrund auf. Es ist viel Feingefühl bei beiden Gesprächspartnern gefragt. Mit etwas Geduld und einer Gesprächspause gebt ihr Sterneneltern die Chance, so zu reagieren, wie sie es gerade können. Ein Themenwechsel meinerseits oder ein emotionaler Rückzug aus dem Gespräch sind in meinem Fall die Stoppzeichen. Und wenn die Kapazität auf beiden Seiten da ist, dann braucht es immer noch Mut. Mut zur Verbindung. Gemeinsam all die Facetten des Lebens, das Leiden, den Schmerz, den Verlust, aber auch die Freude und die Liebe anzuerkennen. Das berührt und bewegt tief.

Die Trauer ist einfach da

Auch Lena spricht in manchen Momenten bereitwillig von ihrem Bruder, der da ist und doch nicht. Sie zeichnet für ihn, beschenkt ihn mit Basteleien. Die deponiert sie jeweils beim Fenster, damit er sie sehen kann. Dann fühlt sie sich gestärkt in ihrer Schwesterrolle.

Wagen Sie es, Fragen zu stellen.

«Weisch Mami», sagte sie mir kürzlich, «es isch, wies isch.» «Was denn?», wollte ich wissen. «S'Läbe.» Lena weiss, dass der Tod zum Leben gehört. Die Trauer darf sein, auch nach längerer Zeit. Sie ist einfach da. Nach den Tränen lachen wir zusammen. Wir Eltern versuchen, Lena vorzuleben, dass Noams Besuch bei uns nicht nur leichte Spuren hinterlassen hat, die nach einigen Jahren wieder verblassen. Sein Kommen und Gehen hat uns verändert – und das ist gut so.

«Das Kind ist gestorben? Ui, das ist schlimm. Es tut mir leid!» Smalltalk mag hier enden. Doch ich möchte allen ans Herz legen: Wagen Sie es, Fragen zu stellen. Sprudeln Sie nicht über mit Geschichten, die zeigen, wie toll Ihre Kinder sind? Auch alle Eltern, die ich getroffen habe und deren Kinder verstorben sind, erzählen gerne von ihnen.

Ein Gespräch über Schicksalsschläge ist schmerzhaft. Aber ist es nicht genau die Möglichkeit, Gefühle in dieser unglaublichen Intensität zu erleben, die uns zu Menschen macht? Die uns im Menschsein verbindet und Innigkeit ermöglicht?

Ich wünsche mir mehr Platz für traurige Geschichten.

*Der Name der Autorin ist der Redaktion bekannt.