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Allgäu: Schloss NeuschwansteinEs war einmal ein Schloss, von dem ich schon immer träumte

Walt Disney war auch schon da: Das Märchenschloss Ludwigs II. aus der Vogelperspektive.

Auf dem Weg zum Märchenschloss liegen dampfende Pferdeäpfel. Der Mist riecht auch ein bisschen, aber der sensorische Reiz ist vielleicht ganz gut: Die Welt präsentiert sich schon unwirklich genug, an diesem frühen Morgen. Es herrscht die Art von Kälte, die an den Ohren nagt und die Nase rot macht, ansonsten aber den Kopf lüftet.

Ich hole Luft, mache mich auf den Weg in den Wald. Vorher schaue ich hoch. Hinter silbernen Tannwipfeln werden die Türmchen von der Morgensonne beleuchtet. Es sieht aus, als ob jemand vom Himmel hoch einen Scheinwerfer auf Schloss Neuschwanstein richten würde. 

Der Traum des Königs

Wo sich Fuchs und Hase – und Schwäne! – Gute Nacht sagen, hat sich einst ein bayerischer König ein Märchenschloss bauen lassen. Ludwig II. war im nicht weit entfernten Hohenschwangau aufgewachsen, er war ein Mittelalterfan und verehrte Richard Wagner und dessen Musikdramen wie «Lohengrin» oder den «Ring des Nibelungen». 

Ludwig II. wurde 1864 König, musste aber schon zwei Jahre später erleben, dass Preussen sein Land besiegte und es unter preussische Hegemonie stellte. Der König, der sich nicht mit der Existenz eines konstitutionellen Monarchen abfinden wollte (oder konnte), nahm sich eine der berühmtesten deutschen Burgen, die Wartburg mit ihrer eher strengen Architektur, zum Vorbild und schuf sich eine Gegenwelt. An grandioser Lage, mit verspielten Formen. Gebaut wurde ab 1869 mit modernster Technik. Der Monarch zog zwar 1873 in seine «Neue Burg», doch er sah sein Zuhause zeit seines Lebens nie ohne Baugerüste. 

Kann man so ein junges Schloss ernst nehmen?

Neben Bussen fahren Kutschen zum Schloss hoch. In kalten Monaten mit flauschig ausschauenden Fellen ausgestattet, damit die Touristinnen und Touristen, die sich den Spass leisten, nicht frieren. Vielleicht tun sie es trotzdem, Getrappel hört man, das Schnaufen der Pferde, sonst nichts, Stille im Märchenwald.

Zu Fuss kommt man langsamer voran, kann sich so aber besser auf dieses skurrile Erlebnis einstellen. Am Wegrand sehe ich ein Eichhörnchen im Laub buddeln. Es sucht wohl drei Haselnüsse oder dergleichen, findet aber nichts, springt ein paar Meter, gräbt weiter.

Und so sieht das aus, wenn man sich zu Fuss in Richtung Neuschwanstein aufmacht.

Der Spaziergang dauert etwas mehr als eine halbe Stunde, es geht steil die Strasse hoch. Hinter mir stösst jemand einen Rollstuhl, vor mir geht eine Gruppe asiatischer Herkunft, sie ist schnell unterwegs. 

Kann man ein 150 Jahre junges Schloss ernst nehmen?, frage ich mich bange. Eine Attrappe, sozusagen, ein Gespinst eines verhinderten Herrschers?

Unbedingt, vor allem, wenn man drin ist. Der Einlass wird mit Slots geregelt: Das Ticket kauft man im Voraus, wird zu einer bestimmten Zeit durchs Schloss gejagt, zusammen mit einer Gruppe von anderen Touristen. Bis es so weit ist, schaue ich dem Zirkus im Schlosshof zu: Da sind Influencerinnen aus Asien mit grünen und blauen Haaren, die sich auf der Treppe alle Glieder verrenken und in Handykameras lächeln. Ein Deutscher, der dem staunenden Publikum auf seinem Alphorn aus Plastik ein paar Töne zum Besten gibt. Amerikaner, die bange hoch zu den Türmen schauen.

Wie im Märchen, fürwahr: Drinnen im Schloss.
König Ludwigs II. Studierzimmer im gotischen Stil.
Der grosse Saal der Meistersinger von Nürnberg in Neuschwanstein, hier auf einem Aquarell von Christian Jank aus dem Jahr 1878.

Dann darf die Gruppe mit der Tournummer 432 (Einlasszeit 10.40 Uhr) die Schranken passieren, und schon brauchts wieder Schnauf: die vielen Wendeltreppen! Anhalten liegt nicht drin, das Programm ist gedrängt, go, go! Ich presse meinen Audioguide ans Ohr und hoffe, dass er vorher desinfiziert wurde. 

Mehrmals tastet meine Hand nach meinem eigenen Handy, aber Fotografieren ist verboten. Dabei wäre es instagrammable wie nur etwas: Ludwigs Traumschloss ist ein Traum. Die Haupträume sind mit szenischen Wandbildern germanischer und nordischer Sagen ausgestattet, die auch Wagner interpretiert hatte. Festsaal, künstliche Grotte, Schlafzimmer, das alles ist so pompös – und seltsamerweise gleichzeitig recht intim. Ludwig II. übrigens war ein sehr belesener Träumer, davon zeugt zum Beispiel der Thronsaal, den er selbst entworfen hat. An dessen Wänden prangen unter anderen legendären Gestalten heiliggesprochene Könige und ihre Taten. 

Und überall sind Schwäne, das Wappentier der Schwangauer Grafen. Eingeschnitzt ins Holz, als Figürchen, als Mural, das man bei seiner Erstellung noch nicht so genannt hat. Erst nach seinem Tod wurde Ludwigs «Neue Burg» zu Neuschwanstein. Und zu einem der meistbesuchten Bauwerke der Welt: Krasserweise finden sich hier 1,4 Millionen Menschen jährlich ein. Voraussichtlich im Sommer 2025 wird das Welterbekomitee entscheiden, ob die Königsschlösser Neuschwanstein, Linderhof, Schachen und Herrenchiemsee in die Unesco-Welterbeliste eingetragen werden. 

Doch, das hat was: Auch der «Vater» des bedeutendsten Entertainment-Konzerns der Welt liess sich für sein Logo von Ludwig II. inspirieren.

Unten, noch in Hohenschwangau, bei der Tickethalle, hatte ein Bub auf Italienisch geheult: «Mama, das sieht ja gar nicht aus wie das Disneyschloss!»

Doch, tut es! Von allen Seiten und besonders von der Marienbrücke her. Das weiss ich von Bildern. Um selbst dorthin zu laufen, bin ich zu faul, es hat nichts damit zu tun, dass die Umgebung diesen Winter schaurige Berühmtheit wegen des Prozesses um das Gewaltverbrechen an zwei US-amerikanischen Touristinnen erlangt hat. Vielleicht war auch Filmemacher Walt Disney dort gestanden, als das Schloss ihn so sehr inspirierte, dass er es für seine Trickfilme brauchte – und die Silhouette als Logo seiner Produktionsfirma wählte. 

König Ludwig II. wäre dieses Tamtam ein Graus gewesen: Er war am liebsten allein. Seltsam deshalb auch die Küche im Schloss: Sie ist voll ausgestattet. Dutzende Pfannen, Schüsseln und Kellen für eine Person? Das fällt mir aber erst auf, nachdem ich im Shop Parfümzerstäuber in Form von Schwänen, Puzzles und eine Menge anderen Kram gekauft habe. Genau: Ganz bei Sinnen bin ich nach dieser Tour nicht mehr, verzaubert könnte man es plattitüdenhaft nennen. Das ist der verspielten Inneneinrichtung geschuldet, aber vor allem: der Aussicht! Sie haut mich um, sie raubt mir, Achtung, schon wieder eine Phrase, den Atem! Über der Seenlandschaft, die jetzt wirklich an «Drei Nüsse für Aschenbrödel» erinnert, liegt Reif, der das Land in eine milchig weisse Märchenwelt verwandelt. Mit dem platten Allgäu, das man mit Kühen und grünen Hügeln verbindet, hat das nichts zu tun. Es ist unwirklich schön. 

Und der Märchenprinz? Hatte hohe Schulden, wurde entmündigt und starb in der Nähe von München «unter ungeklärten Umständen im See», so heisst es auf der Tour. Das ist jetzt nicht unbedingt das Happy End, das man sich für den Ideenreichtum Ludwigs II. wünschen würde. Dafür wieder Stoff für grosse Geschichten.

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