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Photo Münsingen 2024Wenn Fotos Töne einfangen

Elvis lebt: Ein Elvis-Imitator aus der Serie «The Kings of England».

Wer mit dem Fotoapparat loszieht, um der Welt da draussen zu begegnen, oder im Studio ein akribisch geplantes Lichtexperiment realisiert, wer für sein Ding irgendeine Form von Kamera einsetzt, ist eine Fotografin oder ein Fotograf.

Fotografie ist eine von vielen Möglichkeiten, ein Bild zu machen. Dabei ist es egal, was darauf fixiert wird und zu sehen ist. Es ist alles möglich.

Musik fotografisch in ein Bild verwandelt hat Seraina Marchal.

Die Fotografie hat sich vor langer Zeit aus ihrer starren Beziehung von Bild zu Ding verabschiedet, das Spiegelstadium der Ich-Identität verlassen.

Sie ist als Imago aus der Larve geschlüpft, hat ihre Flügel in eine unüberschaubare Vielfalt und Farbigkeit ausgebreitet und schimmert wie goldüberhauchter Samt voller Nuancen, Leuchtkraft und Tiefen.

Das Spektrum fotografischer Tätigkeiten ist so weit geworden. Das Pochen darauf tönt wie das Abklopfen der nun leeren Puppe: ein hohles, knöchernes Dogma. Fotografie inszeniert und komponiert, sie parodiert und kommentiert.

Das Innenleben eines Kontrabasses.

Natürlich ist und bleibt das Abbildverhältnis zwischen einer Sache und dem Foto immer da. Doch es ist längst nicht mehr der Heilige Gral des Fotografierens. Ein fotografisches Bild ist heutzutage überwuchert von Erinnerungen, Geschichte, Fotogeschichte, Referenzen, Gebrauchsweisen, Präsentationsarten, geprägt von Medien, die seinen Charakter und seine Bedeutung verändern können, es hat Zwecke und sucht bestimmte Interpretationen. All das färbt oder prägt ein Foto mit.

Die alte, unschuldige Idee, Natur bilde sich im Foto selbst ab, wirkt dagegen ziemlich nichtssagend. Das mechanische, gedankenlose Ablichten der Kameras bildet nun den Ausgangspunkt für zahllose Reflexionen in und vor der Linse – und im Kopf. Die Grenzen der Möglichkeiten sind nur im Kopf.

Blues: Polaroid aus der Serie «Die blaue Stunde».

Diesen Kopf beziehungsweise die Kreativität der Fotoclubs wollten die Macherinnen und Macher der Photo Münsingen mit dem Thema für den diesjährigen Fotowettbewerb herausfordern. Es lautet Musik. Die Besonderheit daran ist, dass sie offensichtlich unsichtbar ist. Sie kann kaum direkt fotografiert werden, sondern nur indirekt. Das Publikum darf gespannt sein, was sich die Fotoclubs dazu haben einfallen lassen.

Tanz mit oder ohne Musik.

Neben dem Fotowettbewerb gibt es wie immer interessante und eindrückliche Ergebnisse von fotografischen Projekten, Ideen, Schaffensprozessen, Konzepten. Kurz: Es gibt eindrückliche, ausgereifte Fotografie von Profis und arrivierten Amateuren aus verschiedenen fotografischen Richtungen zu sehen.

Alle Fotografinnen und Fotografen, die ausstellen, werden persönlich an der Photo Münsingen anwesend sein, um über ihre Bilder und ihr Schaffen zu sprechen, und das Publikum kann Fragen stellen. Nähere Infos dazu stehen im Programm. Hier ein Überblick:

Bilder einer Ausstellung, Seraina Marchal

Was sieht man wirklich, und was bildet man sich nur ein? War das, was man sieht, auch so gemeint oder ein Zufall?

Im Auftrag der Photo Münsingen hat die Fotografin Seraina Marchal zum Klavierzyklus «Bilder einer Ausstellung» von Modest Mussorgski stimmungsvolle Bilder geschaffen. Sie zeigen ahnungsvolle Konturen oder Strukturen, die etwas darzustellen scheinen oder dann doch auch wieder nicht. In dunklen Tönen scheinen sie eher zu schwingen, als etwas zu zeigen. Das Ringen von Licht und Dunkel möglicherweise oder wie hohe und tiefe Töne durch das Anschlagen weisser und schwarzer Tasten Mussorgskis Musik bilden. Aber sicher ist das nicht.

Architektur in der Musik, Charles Brooks

Im Innern einer Orgel.

Bilder aus dem Innern, dem Herzen der Musik. In diesen Räumen in den Instrumenten, in den Resonanzräumen der Instrumente, entsteht die Musik. Überraschende, nie gesehene Ansichten. Man sieht zwar die Musik auch hier nicht, aber kann sich gut vorstellen, wie sich die Schwingungen ausbreiten und das Material rühren und von ihm geformt werden. Es sind auch architektonische Innenräume, die man zum Teil bewohnen könnte, sagen die Bilder, etwas wie ein Holzschuppen oder skulpturale Formationen in verstörende Tiefen.

Vestiges – Das Ende von Etwas, Andrea Knechtle

Verlassener Ort.

Wenn die Welt einen Ort vergisst, entstehen unbewohnbare Refugien, in denen die Zeit nur noch ganz langsam zu fliessen scheint. Wie mag es damals gewesen sein, als das Piano angeschlagen wurde, und wie wäre es heute? Die Orte hatten eine andere Bedeutung und einen Nutzen, bevor alles abblätterte, verstaubte. Der Reiz des Verfalls, woran dieser zufällig alles denkt, wie er vorgeht, und überhaupt, dass die Zeit doch noch vergeht in Zimmern, in denen sich seit Jahren niemand mehr aufhielt. Rasch wird alles unbewohnbar und staunenswert fremd. Wie eine Leiche. Doch belebt von Licht, heimgesucht vielleicht von Nagern, Vögeln oder einfach nur der Zeit und ihren winzigen Mitbringseln, Pilzen und Algen.

Cirque Noir, Oliver Stegmann

Alter Clown im Spiegel.

Melancholische Bilder, wo ist das Glück auf dieser Welt in diesem Zirkus? Bilder, auf denen das Schwarz das helle Licht beinahe niederringt, dennoch zauberhaft schön. Der alternde Clown. Ist das Leben des Menschen eine Zirkusvorstellung, oder ist da mehr oder weniger – oder ist es so mehr als genug? Wer soll lachen? Muss man bei Clowns wirklich immer lachen? Alle tragen vermutlich einen Clown in sich, der ihnen peinlich ist. Aber man müsste nur sein Gehabe ablegen, das, was einen sicher macht. Man muss das nicht glauben, aber ist es nicht überzeugend?

Bodmi, Gerardo Garciacano

Was ist meine Identität?

Als Schluss eine Frage der Identität. Was ist das? Was ist das noch, oder was ist sie geworden? In einer Zeit, in der Einsichten zu Ansichten werden und die Ansichten die Rolle der Einsichten spielen? So ist es mehr als eine Lust, sich selbst von aussen zu sehen, via Selfie etwa, zu schauen, in was man sich selbst verwandelt oder auch nicht. Das hat faszinierenden Zauber – und ist auch fast nötig. Inszenierungen ändern sich rasch.

Photo Münsingen, Schlossgutareal Münsingen, 9. bis 12. Mai. www.photomuensingen.ch. Die Photo Münsingen findet bei jedem Wetter statt.