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«Die Zweiflers» auf ARDEine jüdische Familie, die einen nicht mehr loslässt

Am Rand des Nervenzusammenbruchs: «Die Zweiflers».

Spätestens ab Folge drei ist man in alle verliebt. In drei Generationen der fiktiven Frankfurter Familie Zweifler – Grosseltern, Eltern und drei Kinder, die längst erwachsen sind, auch wenn ihre Mutter sich weigert, das anzuerkennen. Es ist eine jüdische Familie, es ist also auch eine jüdische Mutter, und Sunnyi Melles spielt sie, als sei sie dem wahnsinnig lustigen Sachbuch «How to Be a Jewish Mother» von Dan Greenburg aus dem Jahr 1964 entsprungen. Darin stehen die Methoden, mit denen eine jüdische Mutter herrscht (und den Zusatz jüdisch kann man laut dem Autor auch einfach streichen). Entscheidend sei, dem Kind stets ein Gefühl von Schuld zu vermitteln. Es müsse die Mutter täglich seufzen hören. Auch wenn diese selbst nicht wisse, warum – das Kind werde es schon wissen.

Aber das ist nur die geringste Übung, mit der die herrlich exaltierte, am Rande des Nervenzusammenbruchs erst zu Höchstform auflaufende Mimi Zweifler früher oder später alle in der Familie dazu kriegt, sich ihren Wünschen zu unterwerfen.

Im Mittelpunkt der Serie steht Mimi Zweiflers Sohn Samuel (Aaron Altaras) mit seinem nachvollziehbaren Wunsch, ein eigenes, autarkes Leben zu führen. Er hat es immerhin schon bis nach Berlin geschafft, wo er Manager in der Musikbranche ist. Während eines Kurzbesuchs in der alten Heimat verguckt er sich in die Besitzerin eines hippen Frankfurter Restaurants, Saba (Saffron Coomber). Sie ist Engländerin – englische Mutter, jamaikanischer Vater – und wird bald von Samuel schwanger. Die beiden sind ineinander verliebt, eigentlich eine gute Voraussetzung für alles, was folgen mag. Nun ist Saba aber nicht jüdisch. Und man weiss ja, dass so etwas in den meisten Religionen ein Thema ist. Und kann sich vielleicht vorstellen, wie Samuels Mutter es findet.

Wie sehr prägt uns, wessen Nachfahre wir sind?

Und so bringt diese Schwangerschaft die Handlung der Serie in Gang – und setzt das darunterliegende grosse Thema: Identität. Hier nicht als Schlachtruf, sondern als ernste Frage, die sich jeder Mensch irgendwann stellen muss: Wie sehr prägt uns, wessen Kind, wessen Enkel wir sind?

Erfunden hat «Die Zweiflers» der 1984 in Frankfurt am Main geborene David Hadda, der alle sechs Folgen zusammen mit Sarah Hadda und Juri Sternburg schrieb. Man merkt, dass er das Milieu, von dem er erzählt, sehr gut kennt. Es kann wohl nur jemand so unangestrengt authentisch von den Angewohnheiten, Bräuchen und Neurosen einer Minderheit erzählen, der dieser selbst angehört. Und so wird jüdisches Leben hier mal nicht so betulich und gut gemeint überkorrekt dargestellt wie sonst oft in deutschen Produktionen, wo es dann immer etwas von diesen Schaukästen in Märchenparks hat, in denen sich auf Knopfdruck Puppen bewegen. In «Die Zweiflers» sind Juden, deutsche heutige Juden normal durchgeknallte Menschen, die atmen, sich danebenbenehmen, leben.

Schock an der Vernissage (v. l. n. r.): Mimi (Sunnyi Melles), Jackie (Mark Ivanir), Symcha (Mike Burstyn), Lilka (Eleanor Reissa), Saba (Saffron Marni Coomber) und Samuel (Aaron Altaras).

Mit der Besonderheit, dass das Trauma des Holocausts wie ein Abgrund unter ihnen liegt. Die Grosseltern haben ihn noch erlebt, sind Überlebende der Konzentrationslager (die Serie spielt 2015). Der Grossvater Symcha Zweifler (Mike Burstyn), ein Patriarch wie aus den allerfeinsten internationalen Serien, hat nach dem Krieg – in einer märchenhaften Volte – in Frankfurt ein Delikatessenimperium aufgebaut, dessen Zukunft jetzt, wo er sich altersbedingt aus dem Geschäft zurückziehen will, ungewiss ist. Und dann suchen ihn auch noch Geschehnisse aus der unmittelbaren Nachkriegszeit heim. Seine bezaubernde Frau Lilka (Eleanor Reissa), deren stets tadellos elegante Erscheinung möglicherweise auch ein Überlebensmechanismus ist, würde ihm bestimmt den Rücken stärken, hätte sie nicht eigene Sorgen. Das Paar spricht Jiddisch, was von den anderen Familienmitgliedern verstanden, aber nicht erwidert wird.

Tapfer in die Familie eingeheiratet hat Jackie Horovitz, der Mann von Mimi, ein Psychotherapeut mit deutlichen Ehe-Fluchttendenzen. In einem grossartigen Monolog am Grab seiner Eltern wird sich sein Innenleben enthüllen und offenbart, dass er die Ehe seiner Eltern nachlebt. Mark Ivanir spielt diesen Ehemann und Vater, der inmitten seiner Familie rettungslos allein ist, mit einer wunderschönen resignierten Melancholie.

Wie liebevoll die Serie gemacht ist, lässt sich vielleicht an folgendem Detail ablesen: In besagter Friedhofsszene ist ganz kurz, wirklich nur für einen Wimpernschlag, der Grabstein von Jackie Horovitz’ Eltern im Bild. Der Inschrift ist zu entnehmen, dass die beiden im selben Jahr starben, 2015, und zwar im Abstand von nur 13 Tagen. Er, 84, folgte ihr, 88, nach. Die Rührung über dieses Detail weicht schnell, weil sich der innere Dialog des Sohnes mit seiner toten Mutter zu einem Streit voller Vorwürfe entwickelt, in den sich auch der Vater einmischt, dessen liebevolle Persönlichkeit sich immer zu wandeln pflegte, wenn die Mutter dabei war. Daran erinnert ihn sein grauhaariger Sohn nun am elterlichen Grab. Ein kleiner Junge, der Psychotherapeut wurde und sich selbst nicht zu trösten weiss. Und der, wie sein Vater, eine Frau geheiratet hat, neben deren Übermacht er keinen Platz findet – oder jedenfalls nicht seinen. Und auf einmal wirkt da der Umstand, dass sein Vater seiner Ehefrau brav umgehend in den Tod folgte, logisch. In diesem winzigen Detail der Grabinschrift, die nur wahrnimmt, wer an dieser Stelle auf Pause drückt, steckt die Geschichte einer ganzen Ehe.

Samuels zwei Geschwister sind in der Serie ebenfalls wichtig. Da ist der künstlerisch begabte und sensible Leon (Leo Altaras, auch im wahren Leben sind die beiden Brüder), der in der Familie die Rolle desjenigen ergriffen hat, der möglichst nicht auffällt. Das klappt nur leider nicht immer. Und dann gibt es noch Dana (Deleila Piasko), die resolute ältere Schwester, die sich längst nach Israel in die Ehe mit einem Israeli verabschiedet hat, nun aber aus dieser wieder zurück nach Frankfurt flieht. Ihre beiden kleinen Kinder sprechen Deutsch und Hebräisch. Schon anhand der verschiedenen Sprachen und Akzente, die von all den Zweiflers gesprochen werden, erzählt sich viel über jüdische Geschichte.

Sein Freundeskreis gibt ihm ein Heimatgefühl: Samuel (Aaron Altaras, links).

Die Serie ist so gut geschrieben, dass sich nicht sagen lässt, was wichtiger ist, Handlung oder Charaktere. Alles greift ineinander und ergibt ein Drama, das immer interessanter wird, je besser man die einzelnen Familienmitglieder kennen lernt. Gegen Ende stösst auch noch Mimis Schwester Tammi aus New York hinzu, in einer genialen Besetzungsidee von Ute Lemper gespielt. Ab jetzt sitzen um den Küchentisch der Zweiflers gleich zwei jüdische Mütter, die, was Persönlichkeit, Charisma und Präsenz angeht, absolut auf Augenhöhe sind, aber einen unterschiedlichen Umgang mit den Traumata haben, die ihre Eltern ihnen vererbten.

Von der Tonalität her balanciert die Serie, bei der Anja Marquardt und Clara Zoë My-Linh von Arnim Regie führten, zwischen überzeichneter Komödie und psychologischem Drama, ohne je den Tritt zu verlieren. Das liegt nicht zuletzt an Sunnyi Melles, die in einen Satz zwei gegensätzliche Gefühlsausbrüche legen kann, ohne mit der Wimper zu zucken. Es ist ein riesiges Vergnügen, ihr zuzusehen. Ausser einem im Rotlichtmilieu spielenden Handlungsstrang, der etwas zur Karikatur geriet, ist alles sehr glaubhaft – von der antisemitischen Tirade eines Frankfurter Taxifahrers bis hin zu Samuels Freundeskreis, der wirkt, als seien die Schauspieler wirklich seit frühester Kindheit miteinander abgehängt. Und als man kurz vor Schluss zu ahnen glaubt, worauf die Handlung hinausläuft, und einen Anflug von Enttäuschung verspürt, da belehrt einen diese kluge Serie in Form einer Rede des Patriarchen eines Besseren. Man muss diesen Symcha Zweifler nicht lieben, aber man wird ihn und seine Beweggründe zuletzt verstehen.

«Die Zweiflers» hat im April beim Internationalen Serienfestival in Cannes den Hauptpreis gewonnen, ausserdem den Preis für die beste Musik. Die stammt von zwei Finnen, Marko Nyberg und Petja Virikko, und führt den Zuschauer souverän durchs familiäre Chaos. Selbstbewusst variieren die musikalischen Stilmittel, werden mal amerikanische oder jiddische Songs genutzt, um eine Stimmung zu erzeugen, dann wieder treibt das Schlagzeug wie im Film «Birdman» solo das Tempo voran.

Er habe ein jüdisches «Sopranos» schaffen wollen, hat der Erfinder der Serie, David Hadda, in Interviews gesagt. Ihm ist etwas ganz Eigenes gelungen: das Porträt einer hinreissend meschuggen, nervigen, schillernden und absolut funktionalen jüdischen Familie, die sich weder von den Gespenstern der Vergangenheit noch von den Zumutungen der Gegenwart unterkriegen lässt. Und das in Frankfurt am Main.

Die Zweiflers, sechs Folgen, ab Freitag, 10. Mai, um 22.20 Uhr in der ARD.

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